
Von alten Akten über Fotos bis hin zu Lehr- und Meisterbriefen: für die systematische Erforschung der Handwerksgeschichte sind sie ein Schatz. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks unterstützt Betriebe und Handwerksorganisationen mit einem interdisziplinären Arbeitskreis dabei, diese Materialien für Forschung und Kommunikation zu bewahren.
Geschichten aus dem HandwerkWohin mit den ganzen Ordnern?
Wohin mit den ganzen Ordnern? Immerhin Geschichten aus den vergangenen 100 Jahren. Diese Frage stellt sich Ullrich Amthor, Bäckermeister aus dem Landkreis Rhön-Grabfeld, seit einiger Zeit. In naher Zukunft wollen die Bäckerinnungen Bad Kissingen-Rhön-Grabfeld, Kitzingen, Schweinfurt-Haßberge und Mainfranken fusionieren. „Ständig bekomme ich Anrufe. Was machen wir mit den Akten, Ordner und Papieren? Denn das Ziel ist für uns immer klar gewesen – unsere Akten sollen nicht im Papiercontainer landen“, berichtet der Obermeister der Bäckerinnung Bad Kissingen-Rhön-Grabfeld.
Aussagen die Dr. Titus Kockel genaustens kennt und Abhilfe schaffen will und kann. Er ist beim ZDH Referatsleiter Kultur und für den Bereich Handwerksgeschichte und deren Erforschung zuständig: Mit seinem Vortrag „Geschichtskommunikation und Interdisziplinärer Arbeitskreis Handwerksgeschichte“, den er im Rahmen der 136. Vollversammlung der Handwerkskammer von Unterfranken gehalten hat, will er Innungen, Unternehmen oder Organisationen ermutigen die eigene Geschichte aufzuarbeiten.
Dr. Titus Kockel: „Die Geschichte des Handwerks ist weit mehr als eine Ansammlung von Anekdoten – sie ist identitätsstiftend, lehrreich und hochaktuell. Die Vergangenheit des Handwerks hat viele Unternehmen und Regionen über Jahre geprägt und verändert.“ Trotz der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutung des Handwerks gibt es Defizite bei der Erforschung und Vermittlung seiner Geschichte, so Kockel in seinem Vortrag. Dadurch kann sich das Bild, das vom Handwerk in der Gesellschaft existiert, nicht erneuern. „Noch immer geistern beispielsweise die alten Mythen von handwerklicher Innovationsfeindlichkeit und Rückständigkeit im Angesicht der Industrialisierung durch Seminare und Klassenzimmer,“ erzählt Kockel.
Dr. Titus Kockel, Referatsleiter Kultur beim Zentralverband des Deutschen Handwerks
Interdisziplinärer Arbeitskreis
Um die Geschichte sichtbarer zu machen und für Gegenwart und Zukunft nutzbar zu gestalten, wurde der Interdisziplinäre Arbeitskreis Handwerksgeschichte 2013 ins Leben gerufen. Der Arbeitskreis versteht sich als Plattform für den Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis.
„Die Geschichte des Handwerks ist weit mehr als eine Ansammlung von Anekdoten – sie ist identitätsstiftend, lehrreich und hochaktuell.“
Dr. Titus Kockel, Referatsleiter Kultur beim Zentralverband des Deutschen Handwerks
Ziel ist es, die historische Bedeutung des Handwerks besser zu erforschen und zugleich zugänglich zu machen – sei es über Lehrmaterialien, Fachartikel oder lokale Initiativen. Ein zentrales Anliegen ist dabei, die oft verstreuten Quellen – etwa alte Meisterbriefe, Werkstattbücher oder Zunftarchive – zu sichern und auszuwerten und natürlich die unterschiedlichen Gewerke bei ihren Anliegen zu unterstützen. Heute sind es weit mehr als 60 Personen die dem Arbeitskreis angehören. Archivare, Historiker, Organisationen aber auch junge Forscher. Der Interdisziplinäre Arbeitskreis Handwerksgeschichte leistet nach wie vor Pionierarbeit an der Schnittstelle von Wissenschaft, Handwerk und Öffentlichkeit. Er zeigt: Handwerksgeschichte ist kein Thema von gestern – sondern ein Teil unserer Zukunft.
Wer Handwerk lebt, lebt auch Geschichte. Und wer Geschichte kommuniziert, macht das Handwerk sichtbar – als kulturelles Erbe und als gestaltende Kraft. Ebenso wichtig dabei ist die Einbindung lebendiger Erinnerungen: Michael Ott, Malermeister aus Haßberge nutzt ein Buch aus dem 17. Jahrhundert mit Rezepturen, die er auch heute noch beim Restaurieren von alten Häusern benutze – auch wenn es nicht so einfach zu lesen ist, wie er schmunzelnd ergänzt. „Ich finde es wichtig, dass zum Beispiel ältere Handwerker, ihr Wissen aufschreiben, damit es nicht verloren geht.“
Ullrich Amthor und Dr. Titus Kockel haben sofort nach dem Vortrag miteinander gesprochen, Visitenkarten getauscht. Sie wollen telefonieren, die nächsten Schritte besprechen und eng zusammenarbeiten. „Ich bin einfach sehr froh, dass die Geschichte der Bäckerinnungen aus Unterfranken nicht verloren gehen wird.“
Ansprechpartner
Betriebe und Handwerksorganisationen können sich zum Thema Handwerksgeschichte wenden an
Dr. Titus Kockel
ZDH Referatsleiter Kultur
030/20619335
kockel@zdh.de